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Isabelle Bodenseh - Die ganz frische Brise am Jazz-Himmel

Flowing Mind

Das Cover ist kunstvoll gestaltet und hat ein sehr informatives Booklet mit DigiPak.
Das Cover ist kunstvoll gestaltet und hat ein sehr informatives Booklet mit DigiPak.

Das neue Album

Unglaublich viele Farben strömen aus „Flowing Mind“, der neuen Produktion von Isabelle Bodenseh. Der Trubel, der in kürzester Zeit um diese CD entstanden ist, kommt nicht von ungefähr, er hat viele gute Gründe.

Aber wo anfangen? Bei den großartigen Kompositionen? Bei der berstenden Musikalität und Vitalität der Improvisation? Bei der stilistischen Vielfalt? Bei der außergewöhnlichen Besetzung mit Flöte, Hammond-Orgel, Gitarre und Schlagzeug? Bei der faszinierenden Mischung aus Verspieltheit und Präzision? Jeder einzelne Grund für sich würde eine Aufnahme schon besonders machen, aber bei „Flowing Mind“ trifft alles aufeinander und macht die CD zu einem Meilenstein.

Die ganze CD ist ein Statement: Isabelle Bodenseh und ihre Flöten sind aus der aktuellen Jazz-Szene - und darüber hinaus - nicht mehr wegzudenken. Ziemlich sicher wird „Flowing Mind“ auch dazu beitragen, dass die Flöte im Jazz zukünftig eine gewichtigere Rolle spielen wird als die klanglichen Tupfer, die sie bislang oft nur setzen durfte.


Musikalisch wie menschlich ist das Leben der Jazzflötistin gleichermaßen bewegt und bewegend. Und genau dieses Leben scheint sie in dem Album mit etwa 50 Minuten und 9 Tracks zu komprimieren. Die Titel hat sie zum Großteil selbst komponiert, auch die drei Bandmusiker haben je ein Stück beigetragen.

Seit dem Release am 3. Februar 2023 läuft die CD bzw. Playlist bei mir in Dauerschleife und ich finde immer wieder Neues.

Die einzelnen Titel

Anfangs habe ich mich über die Abfolge der Tracks gewundert, aber spätestens beim mehrmaligen Hören wird deutlich, dass die ganze CD einer klugen Dramaturgie folgt. Wenn man wenig Hörerfahrung mit neuerem Jazz hat, könnte es sinnvoll sein, die Stücke einfach einmal in umgekehrter Reihenfolge zu hören. Hier die einzelnen Titel:

ConFluting

Das Album beginnt also tatsächlich mit der Bass-Flöte! 

Das rhythmisch und melodisch mitreißende Thema ist pure Energie und entwickelt sich zu komplexem und tiefgründigem New-Bebop. Dizzy und Charlie hätten ihre Freude!

Die Jazzflötistin leitet den Titel vom Wort „confusing“ ab und führt das auf die Wiederkehr aus der für viele Künstlerinnen und Künstler zersetzenden Corona-Pandemie zurück. Tatsächlich aber schaffen die Improvisationen Klarheit, und es ist spannend, wie anders das selbe Thema wirkt, wenn es am Ende wieder aufgegriffen wird.

ASAP

„As soon as possible“ - Das klingt ein bisschen nach Stress, und tatsächlich packt die Flöten-Artistin ab der ersten Sekunde ein Repertoire an Spieltechniken aus, das seinesgleichen sucht. Und, ganz typisch, sie überschreitet  alle Grenzen, um sich hochvirtuoser Spielweisen zu bedienen, wie man sie sonst nur aus zeitgenössischer und experimenteller Musik kennt. Musik ist eben eine Sprache, und welch ein riesiges Vokabular hat Isabelle Bodenseh!

Bei allem Staunen sollte man hier aber nicht das elegante Latin-Thema und das sensible, congeniale Spiel der Band vergessen.

Flowing Mind

Dieses Stück zu hören heißt meditieren, den Geist treiben, die Gedanken fließen lassen - womit der Titel schon erklärt wäre.

Die Künstlerin erreicht dies mit Harmonien, die einen regelrechten Sog erzeugen, vor allem aber mit der unendlichen Wärme ihrer Bass-Flöte. 

Wenn man das großformatige, freundlich-nachdenkliche Thema hört, ist man schier in seinen Bann gezogen und ist eins klar: Hier kann kein Orgel-Solo kommen. Und was passiert? Es folgt ein Orgel-Solo, wie man es sich feinsinniger und raffinierter kaum vorstellen kann. Diese Produktion ist eben immer wieder für Überraschungen gut…



Molecular Cooking

Was passiert, wenn man ein Thema in kleinste Bausteine zerlegt und diese dann zwischen Flöte und Schlagzeug hin und her schleudert? Klar, es wird wild, überraschend, humorvoll - und vor allem aufregend.

Das Stück hüpft, poltert, kullert, neckt, rumpelt und - swingt wie von Sinnen

Je öfter ich dieses Stück höre, desto mehr freue ich mich aufs nächste Mal!

Dog Rose

Dieser Titel hat zwei Herzen: das Riff, mit dem er gleich zu Beginn herausplatzt und dann das kleine, feine Thema.

Im ersten Takt denkt man noch: „Typische 70er-12/8-Hammond-Rockröhre“, der zweite Takt überrascht schon mit einer Ganzton-Wendung, und dann entfaltet sich ein luftiger Groove, der in einem aufregend vielschichtigen Drum-Solo mündet, das gerne doppelt so lang sein dürfte.

Benannt hat Drummer Lars Binder seine Komposition übrigens nach der Hunds-Rose. Manchmal klingt Englisch einfach besser ...

 

Mediterranean Bossa

Ein ganz warmer Wind mit einem Hauch von Rosmarin und Lavendel weht uns aus dem Bossa des Gitarristen Lorenzo Petrocca entgegen.

Er hat das Stück seiner kalabrischen Heimatstadt gewidmet und bringt diese Liebe mit einem bewegenden, melodischen Solo zum Ausdruck, reicht aber schnell an die Flöte weiter, die dann gewissermaßen den Citrus-Duft ergänzt.

So klingt tiefe und etwas melancholische Zuneigung in der Sprache des wunderbaren Gitarristen mit seinem ganz eigenen Sound.



Sans Moi

Dieses Komposition habe ich schon früher hunderte Male gehört. Eigentlich war sie zunächst ohne Flöte gedacht, daher der Titel. Diesmal jedoch greift die Künstlerin selbst zum Instrument und zelebriert die innere Ruhe des Stücks, wobei ihre Bassflöte so kernig und definiert klingt, wie ich es von diesem Instrument noch nie gehört habe.
Und man muss es immer wieder hören, weil man so viele Schichten entdeckt: die empfindsame Gitarre, das unfassbar behutsame Drumset und die absolut faszinierende Orgel, die das Arrangement tief aus dem Hintergrund mit genial-sparsamen Flächen verzaubert.

Chilli Challi

Aber sie kann auch anders, die Orgel.

Funky wird es in der Komposition des Hammond-Spielers Thomas Bauser, der noch einmal - im wahrsten Sinne des Wortes - alle Register zieht. Mit unglaublichem technischen Repertoire und einem schillernden Leslie-Sound bohrt und groovt sich das Stück in Bauch und Beine und macht einfach nur Spaß.

Und überhaupt ...

Hat sich schon mal jemand gefragt, wer in der Band eigentlich den Bass spielt?

Flowing Mind (Strings)

Noch einmal Flowing Mind, diesmal jedoch kürzer und in einen geschmackvollen Streichersatz gebettet.

Als Radio Edit ist diese Version kompakter und hat dadurch auch eine andere innere Regie, die die Wirkung ein wenig verändert. Während man sich in der ersten Variante verlieren will, hat man bei dieser Kurzfassung das Bedürfnis mit zu summen. Ich wette, die Sender und Podcasts werden ganz schnell auf den Geschmack kommen.



Die Band

Solange ich nur über die einzelnen Titel schreibe, wird ein wesentliches Merkmal des Albums nicht deutlich. Isabelle Bodenseh versammelt mit Lorenzo Petrocca (Gitarre), Thomas Bauser (Hammond) und Lars Binder (Drums) die perfekte Band um sich. Alle spielen stets für den Gesamt-Sound, alle sind musikalische Persönlichkeits-Ries(inn)en, bleiben aber - vielleicht gerade deswegen - immer bescheiden, eigentlich sogar sparsam, und lassen den anderen Platz. Auf diese Weise wird aus vier Solisten ein atmender und organischer Klang- und Groove-Körper, der zeigt, wieviel Kommunikation und emotionale Vernetzung Musik bedeuten kann. Alle sind eben nicht nur technisch brilliant, sondern auch ganz aufrichtige, intensive, hingebungsvolle Musiker.


Zum Schluss

Solche Produktionen machen dankbar. (Na gut, und, wenn man selbst Musiker ist, vielleicht auch ein ganz kleines bisschen neidisch.) Aber vor allem wünscht man sich, dass noch viele solcher Kreationen aus dem Bodenseh-Labor folgen.

Viele Informationen zur Künstlerin und ihrer Band findet man auf www.isabellebodenseh.de, weitere auf Wikipedia.

 

Zu zwei Titeln gibt auch beeindruckende Videos:



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Noch eine redaktionelle Anmerkung

Wie viele wissen, kenne ich Isabelle Bodenseh und spiele hin und wieder mit ihr zusammen. Vor der Veröffentlichung dieser CD-Vorstellung habe ich allerdings nie mit Isabelle Bodenseh oder ihren Band-Mitgliedern über die Produktion gesprochen. Ich schreibe einzig auf Grundlage meiner Wahrnehmungen und Recherchen und habe dabei meine eigenen Schwerpunkte gesetzt. Isabelle war vorab nicht über diese Vorstellung informiert.

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